Der Tradition entsprechend, empfing Nationalrätin Judith Bellaiche, Mitglied des Kernteams der Parlamentarischen Gruppe ePower, zahlreiche Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Verwaltung und Digitalwirtschaft zum Sessionsanlass in Bern. Das angekündigte Thema zur Regulierung des Internets versprach einen Wissensvorsprung auf anstehende Regulierungsthemen mit hoher Relevanz für den gesellschaftlichen Diskurs.
Botschafter Petros Mavromichalis, Delegierter der Europäischen Union für die Schweiz und Liechtenstein, brachte dem Publikum die beiden Regulierungsunterfangen Digital Service Act (DSA) und Digital Markts Act (DMA) der Europäischen Union näher. Mit den Regulierungsvorhaben wolle die EU die Regeln für die Entfernung illegaler Inhalte definieren (DSA) und grosse Plattformen verpflichten, die Risiken, die ihre Systeme für die Grundrechte oder das öffentliche Interesse darstellten können, zu bewerten und zu mindern. Die beiden Regulierungsvorhaben würden vorerst Anwendung auf die Mitglieder der EU finden, dürften aber auch Auswirkungen auf andere Jurisdiktionen haben. Beim DMA gehe es darum, die Wettbewerbsfähigkeit des digitalen Ökosystems zu erhalten und hierfür Vorgaben und Interventionsbefugnissen zu erlassen. Während der DSA praktisch auf alle Internetfirmen Anwendung finden soll, fokussiere der DMA auf grosse Plattformen – auf sogenannte Gatekeeper. Der Missbrauch von Marktmacht soll eingeschränkt werden: So sollen Gatekeeper beispielsweise verpflichtet werden, fairen und nicht diskriminierenden Zugang zu App-Stores zu gewährleisten. «Der Schutz der Grundrechte der VerbraucherInnen steht im Fokus», betonte Botschafter Mavromichalis.
«Quatsch erzählen, ist nicht illegal,» hielt Maximilian Schubert, Public Policy Manager Austria & Switzerland von Facebook, in seinem Referat fest. Bei Facebook geniesse die Meinungsäusserungsfreiheit einen hohen Stellenwert. Doch auch Facebook erlaube natürlich nicht alles auf ihren Plattformen: Während «Quatsch» mit einer Warnung zum Inhalt versehen werden könne, würden illegale Inhalte gelöscht. Mit Community Standards, den Facebook-internen «Hausregeln», definiere Facebook, welcher Content erlaubt sei und welcher nicht. Facebook orientiere sich auch an den Gesetzgebungen der jeweiligen Länder. Weil Facebook bereits heute entsprechende Content-Checking-Funktionen umsetzt, begrüsse man die Bestrebungen der EU zur Kontrolle der Inhalte im Internet grundsätzlich. Zu Bedenken sei jedoch, dass die Regeln nicht derart sein dürften, dass ein hoher Druck auf Löschen erzeugt werde – zum Beispiel durch eine Kombination aus kurzen Lösch-Fristen und hohen Strafen, die schlimmstenfalls noch auf den Mitarbeitenden selbst abzielen würden. Damit würde quasi eine Lösch-Flut losgetreten; was nicht im Sinne der Meinungsfreiheit sein könne. Zudem sei zu berücksichtigen, dass gerade kleine Internetfirmen nicht die gleichen Kapazitäten hätten, um die Vorgaben zu erfüllen. Ebenfalls heikel seien Forderungen zur Offenlegung von Algorithmen und Empfehlungssystemen.
Auf der anschliessenden Podiumsdiskussion wurden die möglichen Auswirkungen auf die Schweiz diskutiert. Bernard Maissen, Direktor des Bundesamtes für Kommunikation, versprach einen Bericht bis Ende 2021, der die Position der Schweiz im Bereich Content Regulation klären soll. Maissen betonte die Option der Ko-Regulierung – staatliche Regulierungen, die die zivilen Akteure in ihrer Selbstregulierung unterstützt. Nationalrätin Judith Bellaiche, Geschäftsführerin von Swico, hatte den Bundesrat im Juni in einer Motion aufgefordert, sich bei der europäischen Internetregulierung aktiv einzubringen und plädierte für eine aktive Rolle der Schweiz. Sie warnte davor, dass die Schweiz wieder einmal eine Regulierungswelle nicht rechtzeitig antizipiere und von dieser später dann überrollt werde. Aus dem Kreis des Publikums gab es zudem warnende Stimmen, dass sich Europa mit einer ausufernden Regulierung neue Fesseln auferlege und sich damit in der «Digitalisierungs-Aufholjagd» selbst ausbremse. Klar war am Ende des Abends: Das Spannungsfeld zwischen Regulierung, Zensur und gesellschaftlicher Verantwortung wird die Digitalwirtschaft sowie die Politik in den kommenden Monaten intensiver als bisher beschäftigen.