Am Montag, 14. Juni 2021 begrüsste Nicolas Bürer, Managing Director digitalswitzerland, rund 50 Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zum Sessionsanlass von digitalswitzerland im Casino Bern. Es gestaltete sich ein kurzweiliger Anlass mit angeregten Diskussionen über den Stand der Digitalisierung der Schweiz. Vom vielzitierten Faxgerät bis hin zur aktuellen Debatte rund um das Covid-Impfzertifikat wurden alle Themen angeschnitten, die in der Corona-Krise für Schlagzeilen sorgten.
Professor Edouard Bugnion, Professor für Computerwissenschaften an der EPFL Lausanne, war entscheidend an der Entwicklung der Swiss CovidApp beteiligt. In seinem Referat ging er auf die Entstehungsgeschichte der App ein. Als Mitglied der Swiss National COVID-19 Science Task Force war er während der Corona-Krise bei Entscheidungen eingespannt, die alle Ebenen unseres föderalen Systems betrafen. Nicht ganz ohne Schmunzeln erklärte er dem anwesenden Publikum, wie gross die Unterschiede bei der Digitalisierung in den einzelnen Kantonen sein können. Er sieht in dieser dezentralen Struktur ein Hindernis für eine rasche Digitalisierung der Schweiz und plädiert daher für klare Vorgaben zur Digitalisierung auf Bundesebene. Dies analog zur Verankerung der Covid-App im Covid-19-Gesetz, damit gewisse Digitalisierungsschritte effizienter vorgenommen werden können. Effizienter könnte seiner Meinung nach auch die Erfassung der Schweizer Impfdaten erfolgen. Die Schweiz sei das einzige Land in Europa, das seine Impfdaten nicht täglich veröffentliche. Dabei sei eine real-time Datenerfassung sehr einfach zu erreichen. Solche Dinge erstaunen Edouard Bugnion auch nach mehr als einem Jahr Pandemie immer noch.
Dr. med. Yvonne Gilli setzte mit ihrem pointierten Einstieg zur Digitalisierung im Gesundheitswesen gleich den Ton ihres Referates: Mit dem Bild einer Error-Meldung der BAG-Webseite legte die Präsidentin der FMH den Finger auf den wunden Punkt in der Beziehung der Gesundheitsplayer zur Digitalisierung. So sei das Fax in der Arztpraxis schlicht noch Realität, weil gewisse Kantons- und Bundesämter Meldungen nur per Fax oder brieflicher Post entgegennähmen. Yvonne Gilli zeigte sich überzeugt, dass es nicht an der Technologie liege, dass viele IT-Projekte im Gesundheitswesen nicht gelingen, sondern an der schwierigen Umsetzung in die Lebenswelten der Menschen. Als Beispiel führte sie das elektronische Patientendossier ins Feld, das aus ihrer Sicht einen Relaunch bräuchte. «Unter Digitalisierung verstehe ich nicht, dass wir bestehende Prozesse neu einfach am Computer erledigen, sondern dass ganze Prozesse grundlegend neu gedacht werden», hält Yvonne Gilli fest.
Der bekannte Epidemiologe Marcel Salathé schloss sich den Voten seiner Vorredner zur digitalen Kompetenz in der Schweiz an. Jedoch gab er zu bedenken, dass auch die jungen «Digital Natives» oft nur über Anwender-Kenntnisse verfügten – das sei nicht mit einem vertiefteren Verständnis für Technologie zu verwechseln. Deshalb will er den Umgang mit der Technologie und das Verständnis dafür mit seinem neuen Verein CH++ fördern. Frei von Partikularinteressen wolle der Verein direkt und ungehemmter verschiedene Themen ansprechen. Generelle Zustimmung erhielt Marcel Salathé für seine Aussage, dass wir in der Schweiz Digitalisierung zwar könnten, die Frage sei vielmehr, ob wir diese auch wollten. Deshalb sei es bei allen Digitalisierungsprojekten zentral, den konkreten Nutzen für die Menschen aufzuzeigen. Nur so würde dieser Wandel auch akzeptiert.
Ruedi Noser, Ständerat aus dem Kanton Zürich, wies in der Podiumsdiskussion darauf hin, dass es meist schlicht an Druck mangle, etwas zu ändern. Gerade im Umfeld der öffentlichen Verwaltung fehle der Wettbewerb und die Risikobereitschaft, um etwas zu verändern und Prozesse neuzudenken.
Sébastien Kulling, Directeur Suisse Romande digitalswitzerland, bedankte sich herzlich bei allen Rednern/innen für die anregenden Ausführungen. Er fasste zusammen, dass Vertrauen, dieses sehr menschliche Gefühl, in einer digitalen Welt unerlässlich sei. Er hofft, dass die Schweiz sich von der Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen im Jahr 1902 inspirieren lasse, die zu der notwendigen und willkommenen Interoperabilität zwischen den verschiedenen regionalen Verkehrsnetzen führte, einer Interoperabilität, die auch ein Jahrhundert später noch in Kraft ist.