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Seit 2010 lässt die ICT-Berufsbildung Schweiz den Fachkräftebedarf in der mittleren bis langen Frist abschätzen. Diese Prognosen sind für Laien teilweise schwer glaubhaft, da von einem Bruttobedarf im Bereich von 120’000 Personen ausgegangen wird und unter Berücksichtigung der Neuabsolventen und Neuabsolventinnen sowie Zuwanderung in den nächsten neun Jahren noch ein Nettobedarf im Bereich von 30’000 bis 40’000 ICT-Fachkräften bleibt.
Wertschöpfungsverlust als direkte Opportunitätskosten des ICT-Fachkräftemangels
Viele der Anpassungsmassnahmen der Schweizer Unternehmen (höhere Löhne, mehr Weiterbildung für die Mitarbeitenden, Reduktion der Anforderungen an Bewerbende etc.) haben für die Firmen zwar eine Kostenfolge, sind volkswirtschaftlich aber wenig problematisch und gehören zum normalen Lauf der Wirtschaft. Wenn jedoch Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden oder Aufträge abgelehnt werden müssen, dann handelt es sich um eine Wertschöpfung, welche eigentlich in diesem Land hätte erbracht werden können. Und da die ICT-Branche im Vergleich zu anderen Sektoren sehr hohe Löhne zahlt, Arbeitsplätze auf allen Bildungsstufen anbietet und wahrscheinlich zu den zukunftssichersten Berufen zählt, wiegt der Wertschöpfungsverlust schwer.
Basierend auf der neuesten Fachkräftestudie der ICT-Berufsbildung Schweiz ist bis zum Jahr 2030 von einem kumulierten Wertschöpfungsverlust von bis zu 31.1 Mrd. CHF auszugehen. Dies entspricht der Wertschöpfung, welche heute die ganze Versicherungsbranche in einem Jahr erwirtschaftet.
Wachstum der Beschäftigung verschleiert relative Schwäche
Trotzdem wird der ICT-Fachkräftemangel häufig ad acta gelegt. Dies unter anderem deshalb, weil er als Luxusproblem angesehen wird und zum anderen, weil vermutet wird, dass diese Zahlen wahrscheinlich zu hoch gegriffen sind.
Nun konnte in den letzten Jahren mittels Backtesting gezeigt werden, dass diese Prognose in der Vergangenheit stets zu konservativ ausfiel. Das Gefühl des «Luxusproblems» hängt auch damit zusammen, dass das Berufsfeld ICT in den letzten Jahren trotzdem stark wuchs: Übten 2013 noch 4.8 Prozent der Beschäftigten einen ICT-Beruf aus, so stieg dieser Anteil bis 2021 auf 5.5 Prozent. Dabei verbirgt dieses Beschäftigungswachstum den Sachverhalt, dass die Schweiz in Europa an Boden verliert. Die Schweizer Wirtschaft wird zwar digitaler, aber andere Länder überholen die Schweiz: Wies die Schweiz 2013 noch den vierthöchsten Anteil an ICT-Beschäftigten im Rahmen der Gesamtbeschäftigung auf, so ist es 2021 nur noch Platz 9. So waren beispielsweise Irland und die Niederlande 2013 noch fast gleichauf mit der Schweiz (4.7 Prozent ICT-Berufe an allen Berufen) und sind nun mit 6.3 bzw. 6.7 Prozent neu auf Rang 5 bzw. 3.
Fachkräftemangel als Hindernis zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit
Die Schweiz ist in den internationalen Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit immer in der Spitzengruppe. Dies gilt auch für Rankings, welche sich auf die digitale Wettbewerbsfähigkeit konzentrieren, wie das IMD World Digital Competitiveness Ranking. Hier ist die Schweiz vor zwei Jahren um einen Platz auf Rang 6 abgerutscht. Bei der Detailanalyse schneidet die Schweiz beim Pfeiler «Knowledge» zwar weltweit am besten ab, dieser Spitzenrang ist aber primär der hochqualifizierten Zuwanderung von ICT-Fachkräften zu verdanken (die es zu erhalten gilt). In den Umfragen zu den «Digital and Technological skills» rangiert noch Platz 11 hinter Schweden (2) und Dänemark (3), was darauf zurückzuführen ist, dass die befragten Führungskräfte die Verfügbarkeit von ICT-Spezialisten als deutlich schwächer einstufen. Dies, kombiniert mit dem im Vergleich zu anderen Ländern weniger rasch wachsenden Berufsfeld, schwächt die digitale Wettbewerbsfähigkeit über die Zeit deutlich. Auch wenn sich diese Entwicklung in den Rankings insgesamt nicht so rasch abbildet, da die Schweiz mit ihrem Wohlstand in vielen anderen Kategorien solche Rückschläge aufzufangen vermag.
Fachkräfteparadoxon der Wirtschaft
Angesichts der vorliegenden Zahlen stellt sich die Frage, weshalb die Schweizer Unternehmen nicht aktiver gegen den Fachkräftemangel vorgehen. Zum einen gibt es viele Firmen in der Schweiz, welche sich beispielsweise in der beruflichen Grundbildung engagieren, Löhne erhöhen, Weiterbildungsangebote ausbauen etc. Zum anderen macht auch die «Tragik der Allmende» zu schaffen. Damit wird in der Ökonomie das Problem beschrieben, dass es zwar ein soziales Optimum gibt, wovon alle profitieren, dass aber die Abweichung von der benötigten gemeinsamen Strategie profitabler ist. Konkret bedeutet dies: Es wird interessanter, sich aus der Grundbildung (etwas) zurückzuziehen, je mehr sich andere Unternehmen engagieren. Politisch könnte hier ein Berufsbildungsfonds helfen, welcher heute jedoch undenkbar ist, da ICT-Fachkräfte als Querschnittsfunktion in allen Branchen benötigt werden und es rechtlich nicht möglich ist, alle Unternehmen zu verpflichten.
Einleitung
1.1 Hintergrund und Zielsetzung
Die ICT-Berufsbildung Schweiz lässt seit 2010 den Bildungsbedarf in der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) abschätzen1. Der Verband nutzt diese Prognose als strategisches Instrument zur Bestimmung, ob die Ausbildungsanstrengungen des Verbands und der Wirtschaft den künftigen Bedarf zu decken vermögen. Als Konsequenz hat sich der Verband immer ambitioniertere quantitative Ziele gesetzt und konnte zusammen mit der Wirtschaft die Zahl der Lehrstellen stark steigern. Trotzdem veranschaulicht diese Bedarfsprognose auch, dass jeweils ein Bedarf von ungefähr 120’000 Personen vorhanden ist, welche zurzeit keine ICT-Tätigkeit ausüben und in einem Zeitraum bis neun Jahren in das Berufsfeld eintreten. Berücksichtigt man die Zahl der zu erwartenden Neuabsolventen, Neuabsolventinnen sowie Zuwanderer und Zuwanderinnen, so resultiert hieraus ein zusätzlicher Ausbildungsbedarf (Nettobedarf) in der Grössenordnung von 30’000 bis 40’000 ICT-Fachkräften. Fehlende Fachkräfte sind in erster Linie ein Problem für die Arbeitgebenden, während die Arbeitnehmenden von noch besseren Löhnen und mehr Aus- und Weiterbildungsangeboten sowie guten Karrierechancen profitieren. Aus Sicht der ICT-Dachorganisation digitalswitzerland stellen sich aber gesamtwirtschaftliche Fragen:
Outcome: Was kostet es die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft, wenn keine weiteren Massnahmen ergriffen werden?
Impact: Welchen Einfluss hat die Fachkräfteknappheit auf den Anspruch von digitalswitzerland «making Switzerland a leading digital innovation hub»?
1.2 Methodik und Daten
Die Fachkräftestudie 2022 der ICT-Berufsbildung Schweiz erscheint kurz nach der Publikation dieser Studie. Die ICT-Berufsbildung Schweiz hat erlaubt, dass die Berechnungsgrundlage auch für diese Studie genutzt werden darf. Entsprechend können für die Berechnung des potenziellen Wertschöpfungsverlusts die Verteilung der Fachkräfte auf einzelne Branchen wie auch die Information zum Fachkräftebedarf einfliessen.
Bei der Analyse der Wettbewerbsfähigkeit liegt der Fokus auf den Zahlen von Eurostat zur Beschäftigung von ICT-Beschäftigten in Europa wie auch auf dem IMD-Ranking «World Digital Competitiveness». Zwar gibt es eine Vielzahl von anderen Rankings, aber dieses ist sehr anerkannt, fokussiert auf die Digitalisierung und berücksichtigt die Schweiz als Teil der Analyse.
1.3 Die Informations-und Kommunikationstechnologie (ICT)
Die ICT ist sowohl eine Tätigkeit als auch eine Branche. In beiden Funktionen beeinflusst sie die schweizerische Volkswirtschaft im Rahmen ihrer Querschnittsfunktion. Es ist wichtig, diese zwei Aspekte auseinanderzuhalten:
Branche. Das Bundesamt für Statistik zählt Unternehmen zum ICT-Sektor, welche die Digitalisierung der Wirtschaft vorantreiben. 2 Darunter fallen IT-Dienstleistungsunternehmen zur ICT, zum Beispiel Produzenten von Software oder Anbieter von hardwarebasierten Leistungen (etwa Cloud-Services, Hosting, Rechenzentren, Webportale) bzw. entsprechende Betreuer. Überdies zählen auch Herstellervon Hardware (inklusive deren Reparatur), der Grosshandel und das Verlagswesen im Bereich ICT sowie Firmen im Telekommunikationsbereich dazu.
Fachkräfte / Spezialisten / Berufsfeld / Tätigkeit. In vielen Wirtschaftsbereichen entspricht die Branche auch der mit Abstand wichtigsten Arbeitgeberin von gleichnamigen Fachspezialistinnen und -spezialisten, nicht aber im Fall der ICT. Die ICT-Fachkräfte arbeiten in fast allen Branchen, so in ausgeprägtem Masse im Finanzsektor, in freiberuflichen Tätigkeiten, in der Verwaltung oder in der Industrie. Dabei wird das ganze Spektrum der ICT-Ausbildungen von Berufslehre bis Hochschulstudium nachgefragt. Die Definition des Berufsfelds ICT basiert auf dem weltweit verwendeten UNO Standard der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). 3
Folgen des ICT-Fachkräftemangels für die ganze Schweiz
2.1 Wertschöpfungsverlust durch den ICT-Fachkräftemangel
Die essenzielle Stärke unseres Wirtschaftssystems ist der Umgang mit knappen Ressourcen. Während planerische oder technokratischere Systeme auf dem Papier für einzelne Problemstellungen effizienter scheinen, so ist es die Fähigkeit des kapitalistischen Systems, dass bei Knappheit die Ressourcen dorthin alloziert werden, wo sie relativ effizient eingesetzt werden. So gesehen stellt auch eine Knappheit an Fachkräften a priori kein unlösbares Problem für ein marktwirtschaftliches System dar. Gewisse Anpassungsprozesse wie höhere Löhne sowie verstärkte Ausgaben für die Aus- und Weiterbildung von Angestellten sind richtig und wichtig.
Normalerweise reichen diese Signale aus, um mittelfristig wieder ein Gleichgewicht auf dem Arbeitsmarkt herzustellen. Im Fall der ICT erschweren drei Faktoren dieses Einpendeln: Erstens wächst das Berufsfeld ICT seit Jahrzehnten dreimal schneller als die Gesamtbeschäftigung in der Schweiz (vgl. IWSB (2022)). Zweitens dauern die Ausbildungszyklen mehrere Jahre. Drittens stagniert der Pool an MINT4-interessierten Personen seit Jahren. Kombiniert bedeutet dies, dass die Anpassungsprozesse auf der Arbeitsangebotsseite schlicht länger dauern als auf der Arbeitsnachfrageseite. Ferner sind generell im Themenfeld MINT Fachkräfte rar.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind zum Beispiel Lohnanpassungen keine Wertschöpfungsverluste, es verschiebt sich lediglich die Marktmacht zugunsten der Arbeitnehmenden. Problematisch sind Verlagerungen von Arbeiten ins Ausland (Outsourcing, Nearshoring) oder der Verzicht auf Aufträge. Doch auch diese Verluste sind nur gewichtig, wenn die Aufträge eine – im Vergleich zur restlichen Wirtschaft – überdurchschnittliche Wertschöpfung erbringen.
Die Bestimmung dieser Wertschöpfung ist schwierig, da die ICT-Beschäftigten in vielen Branchen tätig sind, nur rund ein Drittel arbeitet in der ICT-Kernbrache (vgl. IWSB (2022)). Ein guter Indikator sind die gezahlten Löhne im Berufsfeld. Wie Abb. 1 verdeutlicht, ist der ICT-Bruttomedianlohn (8’900 CHF) im Vergleich zum Durchschnitt in der Schweiz (6’500 CHF) sehr hoch. Aber auch im Vergleich zum Medianlohn der MINT-Berufe (7’700 CHF) werden hohe Löhne bezahlt, was impliziert, dass die erbrachte Wertschöpfung in der Unternehmung ebenfalls hoch ist.
Um den Wertschöpfungsverlust als Folge des ICT-Fachkräftemangels zu bestimmen wurde folgendes Vorgehen auf Basis der ICT-Fachkräfteprognose 2030 gewählt:
Der Fachkräftemangel bis 2030 wurde auf die einzelnen Jahre bis 2030 heruntergebrochen.
Die Prognose zur konjunkturellen Entwicklung in Kombination mit dem erwarteten Strukturwandel wurde genutzt, um den erwarteten ICT-Bedarf je Branche herzuleiten.
Der erwartete ICT-Bedarf je Branche wurde als Schüssel verwendet, um den ICT-Fachkräftemangel pro Jahr auf die Branchen umzulegen. Dies ist eine stark vereinfachende Annahme, da es einzelnen Branchen auf Basis der präsentierten Arbeitsbedingungen einfacher fällt, Fachkräfte zu rekrutieren als anderen.
Die Zahlen des Bundesamts für Statistik zur Arbeitsproduktivität je Branche5 wurden dann verwendet,um diesen Mangel in Wertschöpfungsverlust umzurechnen.
Aggregiert man nun diesen Wertschöpfungsverlust für alle Jahre bis zum Jahr 2030, so kann die Schweiz Wertschöpfung im Wert von bis zu 31.1 Mrd. CHF nicht realisieren. Dies entspricht der Wertschöpfung, welche heute die ganze Versicherungsbranche (30.8 Mrd. CHF) in einem Jahr erwirtschaftet.
Dieser Wertschöpfungsverlust ist eher als obere Grenze anzusehen. Einerseits ist es denkbar, dass es gelingt, noch deutlich mehr ICT-Fachkräfte als bisher aus dem Ausland zu rekrutieren und andererseits könnten die verstärkten Ausbildungsanstrengungen der ICT-Berufsbildung Schweiz gegebenenfalls bereits etwas früher schon Erfolge erzielen.
2.2 Entwicklung der ICT-Beschäftigung im internationalen Vergleich
Erfreulicherweise wächst das Berufsfeld ICT seit Jahrzehnten rund dreimal so schnell wie die Gesamtbeschäftigung in der Schweiz (vgl. Abb. 2). Das ist sowohl mit Blick auf die Digitalisierung als Megatrend als auch mit Blick auf die Löhne als Wertschöpfungstreiber eine gute Nachricht. Auch bedeutet dies, dass es der Schweiz gelingt, gewisse Wachstumschancen zu nutzen. Um das Ausschöpfen von Wachstumspotenzialen beurteilen zu können, lohnt es sich, die Entwicklung anderer europäischer Länder zu betrachten.
Betrachtet man nun das europäische Ranking von Eurostat für 2021, so nimmt die Schweiz mit einem Anteil von 5.5 Prozent der Erwerbstätigen, was den ICT-Beruf betrifft, den 9. Platz ein. Sie erreicht nur Platz 10, wenn davon ausgegangen wird, dass das Vereinigte Königreich seinen Anteil gegenüber 2019 mindestens halten konnte. Es liegen diesbezüglich jedoch keine Daten für 2021 vor. Angesichts der 35 betrachteten Länder ist dies ein Rang im vorderen Mittelfeld (vgl. Tab. 2 im Anhang für Details). Auch stieg der Anteil gegenüber 2013 von 4.8 Prozent um 0.7 Prozentpunkte. Damals war die Schweiz jedoch das Land mit der vierthöchsten ICT-Affinität der Tätigkeiten, hinter Finnland, Schweden und dem Vereinigten Königreich.
In Abb. 3 wird der Grund auf Basis ausgewählter Länder deutlicher: Alle dargestellten Länder wurden digitaler, viele aber stärker als die Schweiz. Der Spitzenreiter Finnland war das Land mit dem geringsten Bedeutungszuwachs in diesem Zeitraum, aber er startete von Platz 1 aus und erhöhte den Anteil trotzdem noch mehr als die Schweiz: 1.1 Prozentpunkte. Schweden konnte mit einem Zuwachs um 2.3 Prozent an der Gesamtbeschäftigung gar Platz 1 erobern. Portugal liegt zwar noch hinter der Schweiz, wird aber als Volkswirtschaft mit Blick auf die ausgeübten Tätigkeiten in gleicher Geschwindigkeit digitaler wie Schweden und könnte die Schweiz somit in ein paar Jahren einholen.
Interessant ist auch der Vergleich mit Irland und den Niederlanden. Beide Länder hatten 2013 den gleichen Anteil ICT-Beschäftigter an der Gesamtbeschäftigung von 4.7 Prozent und damit eine fast identische Ausgangslage wie die Schweiz (4.8 Prozent). Die Entwicklung dieser drei Länder war bis 2017 noch fast gleich, danach legten aber zuerst die Niederlande und ab 2019 auch Irland deutlich stärker zu, sodass die beiden Länder nun 0.8 bzw. 1.2 Prozentpunkte vor der Schweiz liegen.
Die beobachtete Entwicklung ist langfristig problematisch, da ICT-affinere Länder bessere Chancen haben, ICT-Cluster zu entwickeln und sich die bisherigen Tendenzen infolgedessen verstärken können. Es sinkt – relativ zu anderen Ländern – auch der Pool an verfügbaren ICT-Fachkräften, was die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz in Bezug auf digitale Themen schwächt.
2.3 Effekt des ICT-Fachkräftemangels auf die Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit
Die aufgezeigte Schwächung der Wettbewerbsfähigkeit wird sich mit der Zeit auch in den Rankings zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit niederschlagen. Wie, in welchem Umfang und welche Massnahmen dagegen wichtig sind, wird in diesem Kapitel erörtert.
Rankings zur Wettbewerbsfähigkeit werden von verschiedenen Institutionen erstellt. Zu den renommiertesten gehören der Global Competitiveness Index des World Economic Forum (WEF), das World Competitiveness Ranking der IMD Business School oder der Global Competitiveness Index der World Bank. In Bezug auf die digitale Wettbewerbsfähigkeit ist das World Digital Competitiveness Ranking (WDCR) der IMD Business School das renommierteste. Der Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI) wäre inhaltlich auch ein interessantes Mass, er wird jedoch von der Europäischen Kommission erstellt und vergleicht nur die EU-Länder ohne die Schweiz.
Um zu verstehen, wie sich die gemessene digitale Wettbewerbsfähigkeit verändert, ist es wichtig, die methodischen Grundlagen kurz darzulegen. Das WDCR besteht aus drei Säulen: «Knowledge», «Technology» und «Future Readiness». Hier schliesst die Schweiz im neuesten Report auf den Rängen 1, 11 und 3 ab, was zum Gesamtrang 6 führt. Jede Säule besteht nochmals aus drei Subindizes, welche auf vier bis sieben Indikatoren fusst. Alle Säulen und Subindizes fliessen mit gleichem Gewicht ein. Die Indikatoren verteilen sich ungefähr hälftig auf «harte» statistische Fakten und «weiche» Umfrageergebnisse bei Führungskräften.
Die Säule «Technology» des WDCR sollte aus Sicht der Schweiz nicht überbewertet werden, da sie einige Indikatoren beinhaltet, welche auf spezifische Eigenheiten der Schweiz zurückzuführen sind. Beispielsweise findet sich die Schweiz beim Indikator «High-tech exports (%)» nur auf Rang 31, was leicht durch die Dominanz der Life-Sciences-Industrie beim Export erklärt werden kann. Oder auch die Verfügbarkeit bzw. Abdeckung mit mobilem schnellem Internet berücksichtigt die Topografie der Schweiz nicht.
Die Säule «Future Readiness» des WDCR ist per se wichtiger, jedoch geht es hier mehr um Themen, welche das digitale Zusammenleben von Staat und Bürger bzw. Staat und Wirtschaft betreffen. Der ICT-Fachkräftemangel fliesst in diesem Zusammenhang nur indirekt in Indikatoren ein, welche zum Beispiel die Agilität der Unternehmen betreffen.
Die Säule «Knowledge» des WDCR hingegen besteht aus drei Subindizes, welche alle mit dem Thema ICTFachkräftemangel verknüpft sind: «Talent», «Training and Education» sowie «Scientific Concentration». Ein Vergleich ist in diesen Subindizes vor allem mit den europäischen Spitzenländern (Schweden #3, Dänemark #4) interessant, da die anderen Spitzenländer entweder deutlich grössere (USA #1) oder weniger gut vergleichbare Strukturen aufweisen (Hong Kong #2, Singapur #5).
Alle drei europäischen Länder verfügen über beträchtliches Verbesserungspotenzial im Hinblick auf die Gewinnung von Frauen für MINT-Themen bzw. MINT-Themen allgemein («Women with degrees», «Female researchers», «Graduates in Sciences»), wenn man die Anzahl der Publikationen im Verhältnis zu den investierten Mitteln zugrunde legt.
Sehr positiv zu werten ist, dass die Schweiz nicht nur in Kategorien gut abschliesst, in welchen sie dank des hohen Kapitalstock fast immer gut abschneidet (z.B. «Total expenditure on R&D (%)» bzw. indirekt «Total R&D personnel per capita»), sondern auch in den Indikatoren «Employee training» und «Scientific and technical employment». Der erste Indikator ist eine Umfrage dazu, wie wichtig die Weiterbildung der Arbeitnehmenden in Schweizer Firmen ist, während der zweite Indikator sich generell auf MINT-Tätigkeiten bezieht, wobei hier unter anderem auch die starken Life-Sciences ins Gewicht fallen.
Der scheinbare Widerspruch zwischen dem Verbesserungspotenzial bei der Zahl an MINT-Absolventinnen und MINT-Absolventen auf der einen und den hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf der anderen Seite löst sich auf, wenn die beiden Indikatoren betrachtet werden, in welchen die Schweiz auf Rang 1 liegt: «International experience» und «Foreign highly-skilled personnel». Die Schweiz vermag noch immer hochqualifizierte ICT-Fachkräfte aus dem Ausland zur rekrutieren. Bei der Verfügbarkeit von digitalen Kompetenzen auf dem lokalen Arbeitsmarkt sehen die befragten Führungskräfte aber die Schweiz nur noch auf Rang 11, während Schweden und Dänemark auf den Rängen 2 bzw. 3 liegen.
Damit ist auch eine zentrale Stärke der Schweiz als kleine offene Volkswirtschaft aufgezeigt. Der Zugang zu ausländischen ICT-Spezialisten muss auf jeden Fall politisch weiter gewährleistet werden. 12 Prozent der ICT-Beschäftigten sind im Jahr 2021 im Zeitraum 2017 bis 2021 zugewandert, während dies, auf alle Berufe in der Schweiz bezogen, nur für 7 Prozent galt (vgl. Abb. 4).
Zu beachten gilt es aber, dass die Arbeitsmärkte im europäischen Ausland für Arbeitskräfte aus den jeweiligen Ländern immer attraktiver werden (vgl. Kap. 2.2). Dadurch wird es trotz höheren Lohnniveaus in Zukunft schwieriger, internationale ICT-Fachkräfte zu rekrutieren.
2.4 ICT-Fachkräftemangel und die «Tragik der Allmende»
Angesichts dieser Ausgangslage und auch unter Berücksichtigung des Problems, dass die Bildungszyklen länger dauern und mit dem grossen Beschäftigungswachstum nicht mithalten können, mag es erstaunen, dass die Unternehmen sich nicht noch mehr engagieren. Zwar ist die Berufsbildung in der ICT etabliert, die Lehrstellen wachsen kontinuierlich an und die Löhne steigen, und doch werden nicht genügend Lehrstellen angeboten. Diese sind essenziell, da die ICT-Lehrabsolventen in grosser Zahl danach auch eine Tertiärausbildung anstreben (mehr dazu in der in Kürze publizierten Fachkräftestudie der ICT-Berufsbildung Schweiz).
Ein gewichtiger Grund für den Mangel an ICT-Lehrstellen ist die sogenannte «Tragik der Allmende». Damit wird in der Ökonomie das Problem beschrieben, dass es zwar ein soziales Optimum gibt, wovon alle profitieren, dass aber die Abweichung von der benötigten gemeinsamen Strategie profitabler ist. Konkret bedeutet dies: Es wird für Unternehmen interessanter,sich aus der Grundbildung (etwas) zurückzuziehen, je mehr sich andere Unternehmen engagieren, da sie selbst auch vom Engagement anderer Firmen profitieren.
Die Politik hat mit der Allgemeinverbindlicherklärung von Berufsbildungsfonds ein Instrument geschaffen, das diesem Problem Einhalt zu gebieten vermag. Die Allgemeinverbindlicherklärung bewirkt nämlich, dass auch Betriebe in die (finanzielle) Verantwortung genommen werden, welche sich nicht (ausreichend) an der Berufsbildung beteiligen.
Die Voraussetzungen für die Allgemeinverbindlicherklärung von Berufsbildungsfonds umfassen vier Aspekte: • Einhaltung der Quoten (mindestens 30 Prozent der Betriebe der Branche mit mindestens 30 Prozent der Arbeitnehmenden beteiligen sich bereits finanziell an Berufsbildungsfonds) • eigene Bildungsinstitution • Beiträge müssen den branchentypischen Berufen zugutekommen • Beiträge müssen allen Betrieben der Branche zugutekommen Die Querschnittsfunktion der ICT verunmöglicht jedoch eine solche Lösung, da der Organisationsgrad nicht erreicht werden kann, da sich die ICT-Berufe in allen Branchen finden. Daher wäre auch zu überlegen, ob es hier eine direkte staatliche Unterstützung bräuchte.
Fazit
Es konnte aufgezeigt werden, dass die Fachkräfteprognosen der vergangenen Jahre jeweils zu konservativ ausfielen: Das Wachstum des Berufsfelds ICT übertrifft jeweils die Vorhersagen. Auch die Bemühungen der ICT-Berufsbildung Schweiz,zusammen mit der Wirtschaft zusätzliche Lehrstellen zu schaffen, fruchten zwar, sie können aber mit dem Wachstum des Berufsfelds nicht mithalten und so schliesst sich die Fachkräftelücke bis auf Weiteres nicht.
Ausbildungsseitig verhindert ferner die «Tragik der Allmende» zusätzlich, dass ausreichend Lehrstellen geschaffen werden. Das Instrument dagegen (Allgemeinverbindlicherklärung eines ICT-Berufsbildungsfonds) kann jedoch von der ICT nicht genutzt werden, weil das Einsatzgebiet der ICT-Beschäftigten die ganze Schweizer Volkswirtschaft umfasst.
Das grosse Wachstum an ICT-Beschäftigen führt zu einer immer stärker digitalisierten Wirtschaft. Gleichzeitig verliert die Schweiz gegenüber anderen europäischen Ländern an Boden. Länder wie Irland oder die Niederlande waren 2013 bezüglich des Anteils an ICT-Beschäftigten an der Gesamtbeschäftigung noch gleichauf und liegen nun deutlich vor der Schweiz. Dieser Rückstand kann sich leider selbst verstärken, wenn sich in anderen Ländern weitere ICT-Cluster bilden.
Die relative Stärkung der europäischen Länder bedroht auch einen der zentralen Gründe für die hohe Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz: die Zuwanderung von Fachkräften. Je attraktiver der heimische Arbeitsmarkt wird für ICT-Spezialisten, desto weniger Anreiz existiert, das Heimatland zu verlassen, trotz eines weiterhin in der Schweiz vorhandenen hohen Lohnniveaus.
Diese langfristige Schwächung der digitalen Wettbewerbsfähigkeit ist real, wird aber durch die internationalen Rankings bis auf Weiteres nicht adäquat reflektiert, da diese auf diesen Aspekt nicht so sensitiv reagieren. Was das IMD World Digital Competitiveness Ranking in der Detailanalyse aber deutlich hervorbringt, ist das grosse Potenzial, über das die Schweiz im Fall der Frauen in der ICT noch verglichen mit anderen Ländern verfügt.
Insgesamt betrifft der ICT-Fachkräftemangel nicht nur alle Branchen, weil sie alle ICT-Spezialisten beschäftigten, sondern auch, weil bis zum Jahr 2030 eine Bruttowertschöpfung im Wert von maximal 31.1 Mrd. CHF nicht realisiert werden kann, die den Wohlstand der ganzen Schweiz heben würde. Dies entspricht der gesamten Wertschöpfung der Versicherungsindustrie in einem Jahr.
Anmerkungen
1 B,S,S. (2010), Econlab (2012, 2014), IWSB (2016, 2018, 2020, 2022). 2 Es handelt sich um die folgenden NOGA-Codes: 26.1-26.4, 26.8 (Herstellung von ICT-Gütern), 46.5 und 58.2 (Vertrieb von ICT), 61 (Telekommunikation), 62 und 63.1 (IT-Dienstleister), 95.1 (ICT-Reparatur). Vgl. www.kubb2008.bfs.admin.ch. 3 Es handelt sich um die folgenden CH-ISCO-19-Codes: 13300, 21520, 21530, 21660, 23560, 24340, 250, 251, 252, 351, 35210, 35220, 74220. 4 Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik. 5 Die aktuellen Zahlen zur Wertschöpfung sind aus dem Jahr 2019.
Die Fachkräfteprognosen der vergangenen Jahre fielen jeweils zu konservativ aus: Das ICT-Berufsfeld der Schweiz wächst schneller als gedacht. Trotzdem verliert die Schweiz im internationalen Vergleich an Boden.
Die von digitalswitzerland herausgegebene Studie „Opportunitätskosten des ICT-Fachkräftemangels“ zeigt: Das im Vergleich mit umliegenden Ländern schwächere Wachstum der Schweizer ICT-Branche führt langfristig zu einer Abnahme der Standortattraktivität für ausländische Fachkräfte, was mittelfristig ernste Konsequenzen nach sich ziehen kann. Was diese Konsequenzen sind und welche Handlungsmöglichkeiten sich daraus für Wirtschaft, Politik und Bildung ergeben, verrät die Studie.
Die Studie wurde erstellt vom Institut für Wirtschaftsstudien Basel IWSB im Auftrag von digitalswitzerland.
Bern, 25. Januar 2022 – Viele Schweizer Firmen suchen derzeit wieder händeringend nach Fachkräften. Mit einer gezielten Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes soll ein Beitrag geleistet werden, indem ausländische Absolventinnen und Absolventen von Schweizer Hochschulen in Gebieten mit ausgewiesenem Fachkräftemangel künftig unkomplizierter in der Schweiz angestellt werden können. Ermöglicht hat dies eine Motion von FDP-Nationalrat und digitalswitzerland-Vizepräsident Marcel Dobler.
Aktuelle Erhebungen zeigen, dass sich der Fachkräftemangel in der Schweiz wieder akzentuiert. Besonders betroffen sind altbekannte Disziplinen wie Ingenieurwesen, Humanmedizin und Pharmazie sowie Technik und natürlich auch die Informatik [1]. Der akute und zunehmende Fachkräftemangel im ICT-Berufsfeld ist seit Jahren bekannt und ausgewiesen [2]. Neben grossem Effort bei der Aus- und Weiterbildung soll nun mit einer gezielten Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) ein weiterer Beitrag zur Entschärfung geleistet werden.
Künftig sollen in der Schweiz ausgebildete Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus Drittstaaten in Bereichen mit ausgewiesenem Fachkräftemangel unbürokratischer in der Schweiz bleiben können. Sie sollen nicht mehr unter die Kontingente fallen – was vor allem für wirtschaftsstarke Kantone, deren Kontingente in der Regel früh ausgeschöpft sind [3], wichtig ist. Dies fordert die Schweizer Digitalwirtschaft seit Jahren und FDP-Nationalrat Marcel Dobler verlangte bereits 2017 mit einer Motion regulatorische Anpassungen. Für Dobler steht fest: «Wenn wir in der Schweiz teure Spezialistinnen und Spezialisten ausbilden, sollen sie anschliessend auch hier arbeiten können. Durch ihre Studienzeit sind sie gut integriert und können sich als gesuchte Fachkräfte sofort in Unternehmen einbringen.» Mit einer Änderung von Art. 30 des AIG, das sich noch bis am 10. Februar in der Vernehmlassung befindet, soll die Motion nun umgesetzt werden.
Stefan Metzer, Managing Director von digitalswitzerland, begrüsst die Vorlage und fordert eine rasche Umsetzung auf Stufe der Verordnung und in der Praxis. Er selbst musste bereits auf Anstellungen verzichten: «Vor einigen Jahren wollten wir einen Top-Absolventen der Universität St. Gallen anstellen. Leider hat es aus bürokratischen Gründen nicht geklappt. Heute arbeitet dieser in Deutschland und wird wohl kaum den Weg zurück in die Schweiz finden.» Gerade in hochinnovativen Berufen mit Fachkräftemangel sei dies verheerend. Die Schweiz investiere in die Ausbildung, ohne dass der Schweizer Arbeitsmarkt davon bestmöglich profitieren kann. Viele junge Talente trieben zudem bereits während ihres Studiums bei Start-ups innovative Projekte voran. Dies sei genau die Art von Innovation, welche die Schweiz brauche.
[3] Aufgrund der Corona-Krise konnten die Kontingente in den vergangenen Jahren ausnahmsweise nicht ausgeschöpft werden.
digitalswitzerland freut sich, die neue Publikation von AMOSA (Arbeitsmarktbeobachtung Ostschweiz, Aargau, Zug und Zürich) über Quereinsteiger:innen vorzustellen, die sich für eine Um- oder Weiterqualifizierung in ICT-Berufe entscheiden. digitalswitzerland kommt zum Schluss, dass Quereinsteiger:innen ein wichtiges Segment des ICT-Arbeitsmarktes sind, dem mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss.
Das Problem des Fachkräftemangels der ICT-Branche wird sich nicht von selbst lösen – neue Formen des Berufseinstiegs sind gefragt! Dabei sind Quereinsteiger:innen von grosser Bedeutung, wie eine neue Untersuchung von AMOSA zeigt.
Im Jahr 2020 waren in der Schweiz rund 243’000 Personen in ICT-Berufen beschäftigt. Seit 2010 hat die ICT-Branche ein beeindruckendes Wachstum von rund 50 % verzeichnet, verglichen mit einem durchschnittlichen Wachstum von nur 10 % in allen anderen Berufsgruppen. Trotz dieses enormen Wachstums besteht eine hohe Nachfrage nach ICT-Fachkräften.
Gemäss aktuellen Prognosen des Instituts für Wirtschaftsstudien (IWSB) kann der künftige Bedarf an ICT-Fachkräften weder durch Zuwanderung noch durch das Schweizer Bildungssystem gedeckt werden.
Es ist klar: Quereinsteiger:innen sind gefragt. Um einen zukunftsfähigen Weg für einen erfolgreichen Übergang in einen wachsenden ICT-Sektor zu schaffen, ist eine Betrachtung der Kennzahlen sinnvoll.
Hoher Anteil an Quereinsteiger:innen in ICT-Berufe
Berufliche Neuorientierungen in der ICT-Branche sind erstaunlich häufig. Nur einer von drei ICT-Fachleuten hat seine Laufbahn ursprünglich im selben Beruf begonnen. Während einige von ihnen aus verwandten ICT-Berufen kamen, begann fast die Hälfte der ICT-Fachleute ihre berufliche Laufbahn ausserhalb des ICT-Sektors.
Die Bedeutung dieser Zahlen zeigt sich im direkten Vergleich mit anderen Berufen, welche ebenfalls von Fachkräftemangel betroffen sind: Unter den 25 Berufen mit dem höchsten Fachkräftemangel erreicht der Anteil der Quereinsteiger nur gerade 37 Prozentpunkte. Das zeigt zweierlei: Erstens ist und bleibt die ICT ein zukunftsträchtiger Sektor. Zweitens stehen die Türen in der ICT offen und die Profile sind divers!
Grosse Variabilität zwischen den ICT-Berufen
Obwohl die berufliche Mobilität in den ICT-Berufen im Vergleich zu anderen Berufen weit verbreitet ist, gibt es dennoch erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen ICT-Berufen: Berufswechsel sind heute beispielsweise bei Ausbildern im Bereich der Informationstechnologie (Anteil der Quereinsteiger: 93 %), den Führungskräften im Bereich der ICT-Dienstleistungen (91 %) oder den Technikern für den Betrieb von ICT und für die Anwenderbetreuung (86 %) sehr verbreitet. Dagegen verbleiben Grafik- und Multimediadesigner vergleichsweise häufiger im ursprünglich erlernten Beruf – nur 42 % sind Quereinsteiger.
Woher kommen die Quereinsteiger:innen?
Bei den Quereinsteigern lässt sich eine auffallende Vielfalt der ursprünglichen Berufe beobachten.
Abgesehen von den Arbeitnehmern, die zunächst in einem anderen ICT-Beruf ausgebildet wurden, hat ein beträchtlicher Anteil der heutigen Software- und Anwendungsentwickler oder -analysten ihre berufliche Laufbahn zunächst in verwandten technischen Bereichen begonnen, beispielsweise als Ingenieur (13 %) oder Elektroinstallateure und -mechaniker (3 %), aber auch in nicht-technischen Berufen als Bürokaufmann/-frau (3 %) oder Fachkraft in der betrieblichen Verwaltung (3 %).
Unter denjenigen, die jetzt als Techniker für den Betrieb von ICT und für die Anwenderbetreuung arbeiten, sind Übergänge aus anderen ICT-Berufen weit verbreitet: Viele Arbeitnehmer:innen erlernten ursprünglich einen Beruf im Bereich der Software- und Anwendungsentwickler oder -analytiker (10 %) oder als andere ICT-Fachleute (8 %). Aber auch Berufswechsel aus nicht-technischen Berufsfeldern wie Bürokaufmann/-frau (9 %) oder Verkäufer:in (3 %) kommen relativ häufig vor.
Ein erheblicher Teil dieser Berufswechsel sind Übergänge aus Berufen mit ähnlichem Qualifikationsniveau und erfordern eher eine Umschulung als eine Höherqualifizierung. Aber auch Übergänge von Berufen mit niedrigerem oder höherem Qualifikationsniveau sind nicht ungewöhnlich – insbesondere bei denjenigen, die heute als Techniker für den Betrieb von ICT und für die Anwenderbetreuung arbeiten.
Fakt ist: Durch gezielte Um- oder Weiterqualifizierung können sich auch für weniger qualifizierte Mitarbeiter neue Wege in die Informatik eröffnen!
Wichtige Faktoren: Geschlecht und Alter
Während ältere Altersgruppen und Frauen in ICT-Berufen (noch) unterrepräsentiert sind, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie aus fachfremden Berufen in diesen Bereich gekommen sind, höher als bei jüngeren Altersgruppen und Männern.
Dies ist ein Indiz für die Dringlichkeit von Frauenförderung im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Denn offensichtlich können Frauen auch aus fachfremden Berufen für die Informatik gewonnen werden: das Quereinsteigerinnen-Potenzial in der Schweiz ist also hoch. Mit gezielter Förderung der Mädchen im Bereich MINT könnte dieses Potenzial bereits früher abgeschöpft werden – aus Quereinsteigerinnen werden Einsteigerinnen!
Die Unterschiede zwischen den Altersgruppen lassen sich vor allem dadurch erklären, dass ältere Arbeitnehmer länger im Erwerbsleben stehen und daher mehr Zeit für eine Neuorientierung und Weiterbildung haben. Ausserdem könnten die Hürden für Quereinsteiger in den letzten Jahren aufgrund spezifischerer und höherer Arbeitsplatzanforderungen gestiegen sein.
Lebenslanges Lernen wird dadurch umso wichtiger. Die Zahlen zeigen: Die Nachfrage ist gross, aber das Potenzial ebenso. Ein Karrierewechsel ist machbar!
Wie unterstützt digitalswitzerland lebenslanges Lernen?
Die Förderung eines leistungsfähigen, digital kompetenten Arbeitskräftepotenzials ist der Kern unserer Aktivitäten. Bildung und lebenslanges Lernen sind dabei von zentraler Bedeutung. Wir setzen uns dafür ein, zugängliche Ressourcen für die allgemeine und berufliche Bildung bereitzustellen. Auch die Bedeutung von MINT für die qualifizierten Arbeitskräfte von morgen möchten wir betonen. Die Förderung von Lernenden aller Altersstufen ist ein wichtiger Teil unserer Mission, die Schweiz zu einem führenden digitalen Innovationsstandort zu machen.
Die Angebote von digitalswitzerland wie die Plattform lifelonglearning.ch und das Boost-Programm bieten hierzu die nötige Unterstützung.
Weitere Informationen zu AMOSA und den neuesten Publikationen finden sie hier.
Weiterbildung findet nicht nur in der Schule statt. Im Rahmen des Schweizer Digitaltags haben bereits 12 Unternehmen ihren Mitarbeitenden bis zu 4 Stunden Weiterbildungszeit pro Woche versprochen. Das ist geschenkte Zeit, in denen neue Skills angeeignet oder bestehende geschärft werden können. Ist Ihr Unternehmen auch mit dabei? Hier können sich Unternehmen anmelden und symbolisch dazu verpflichten.
Die Digitalisierungsbranche litt unter den Krisen von 2001 und 2008. Im Jahr 2020 floriert sie. Aus Büroarbeit wird Remote Work. Papierbasierte Abläufe werden zu Online-Workflows. Fabriken und Lieferketten laufen dank der Automatisierung weiter. Wir sind dabei, einen 10-Jahres-Sprung in die Zukunft zu machen. Dies wird uns starke Produktivitätssteigerungen bescheren. Sogar unsere Covid-Kosten können wir auf diese Weise kompensieren.
Krisen erfordern Pionierleistungen und kein Schema F bei der Bewältigung
Im Frühjahr 2020 zirkulierte in der Tech-Branche ein Brief des Venture-Fonds Sequoia zur Covid-Krise. Es war «Schema F»: Erinnerungen an die Krisen 2001 und 2008 schwangen mit. Sequoia hat nahegelegt: Schliesst die Luken. Bereitet Euch auf den Sturm vor. Downsize.
Ich verstehe den Brief von Sequoia. Ich habe selbst von 1998 bis 2007 im Silicon Valley gelebt und gearbeitet und zwei Krisen durchgemacht. Die Dot-Com-Krise raffte im Silicon Valley fast alle Startups dahin. Strassen und Restaurants waren leergefegt, ähnlich wie in der Covid-Krise. Dazu kam der Schock von 9/11. Ich verliess meinen Arbeitgeber McKinsey & Co und sanierte ein Unternehmen. Ich verhandelte die Kostenbasis herunter, baute ein neues Produkt und zog Investitionen an.
Aus dieser Erfahrung heraus habe ich 2005 Zattoo gegründet. Ich machte Tempo. Unser Angebot stiess auf grosses Interesse. Wir bauten aus. Wir stellten ein. Wir waren eine kleine Sensation.
Die Finanzkrise 2008 kam unvermittelt. Alle Startups, nicht nur Zattoo, wurden ohne Vorwarnung getroffen, denn sie hatten nicht die Zeit, das Umfeld nach Makrobedrohungen zu scannen. Sie sind mit Nutzerwachstum, Produktdesign, Umsatzwachstum und dem Aufbau der Organisation vollends beschäftigt.
Da auf dem Markt kein Risikokapital mehr verfügbar war, habe ich im Januar 2009 sogar meine Wohnung in San Francisco verkauft, um die Content-Rechnung von Zattoo zu bezahlen. Das Geld lag etwa zwei Monate zwischen den USA und der Schweiz, da sich die Banken nicht mehr trauten. Ich konnte Aktien verpfänden, um Cash für die Firma aufzutreiben. Tamedia (jetzt TX Ventures) konnte ich überzeugen, einzusteigen. Mit Erfindergeist und Kostendisziplin konnten wir 2010 endlich Fuss fassen. Zattoo wuchs seitdem als KMU mit eigenen Mitteln jährlich etwa um 20-30%.
Nach der Überwindung dieser Krise habe ich den Verwaltungsrat von Zattoo aufgebaut. Ich habe mich als Präsidentin bis 2019 unter anderem der Aufgabe gewidmet, die Firma krisenresistent zu halten und Gefahrensignale mit Vorlauf zu erkennen. Ich habe Cash gehortet, um dem Unternehmen im Ernstfall helfen zu können. Die TX Gruppe hat im April 2019 die Mehrheit übernommen. Ich gab das Präsidium ab. Wir entwickeln die Gesellschaft gemeinsam weiter.
Als ich im Januar 2020 erstmals von Covid hörte, war ich zunächst verschreckt. Erinnerungen an 2001 und 2008 klangen an. Ich fragte mich: Wie kann Zattoo mit der drohenden Pandemie fertig werden? Es war zu erwarten, dass die Pandemie dazu führen würde, dass die Werbeindustrie ihre Ausgaben drosselt, verzögert, umbucht oder einstellt. Die Cloud-Systeme von Zattoo und der Telekommunikationsindustrie waren nicht darauf ausgelegt, über längere Zeiträume autonom zu laufen. Es waren sogar noch schlimmere Entwicklungen denkbar.
Ich befragte meine Bekannten, darunter eine Führungskraft von McKinsey&Co China im Februar 2020. Im Gespräch kamen wir auf einen prognostizierten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts auf -3 %, und das Schweizer BIP fiel tatsächlich auf etwa -3 %.
Kurzfristig sah es noch bedrohlicher aus, aber es erholte sich im Laufe des Jahres 2020. Es erholte sich, weil wir dank Digitalisierung in der Lage waren, weiter zu arbeiten. Es gab keine Notwendigkeit für ein Notprogramm bei Zattoo oder vielen Tech-Unternehmen. Im Gegenteil: Die Tech-Branche boomte.
Digitalisierung als Lichtblick in einem dunklen Krisenjahr
Auf kurze Zeit gesehen werden Innovationen überschätzt. Die Dot-Com-Krise 2001 war sozusagen eine Krise der Ernüchterung. Langfristig aber werden Innovationen unterschätzt. Im Jahr 2020 haben wir dank der Digitalisierung soeben die erste Krise durchlebt, in der wir von Robotern weich gebettet wurden: ein Moment für die Geschichtsbücher.
Wirtschaft, Bildung, Gesundheit, Verteidigung, Finanzen, Verkehr und Energie waren im 2020 krisenresistenter dank Digitalisierung. Die Digitalisierung steht endlich in voller Blüte:
Es gibt einen massiven Bedarf an dringenden Digitalisierungsprojekten in Wirtschaft und Verwaltung
Wir rüsten alle unsere IT zu Hause auf, Apple, Google und Microsoft boomen
Digitalisierung hält Einzug in die Schulen
Dank Warenwirtschaftssystemen, Produktionsautomatisierung und Logistik bleiben unsere Regale gut gefüllt. Pakete kommen an. Bezahlt wird kontaktlos.
Remote Work hilft uns, zu Hause gesund zu bleiben und weiter zu arbeiten
Soziale Medien ermöglichen es uns, Sorgen zu teilen, Ärger Luft zu machen, Trost zu spenden und Perspektiven zu diskutieren: Eine sehr wichtige Funktion.
Wenn Live-Performances wegen einem Lockdown eingeschränkt sind, werden wir dafür mit Online-Videos gut unterhalten.
Die Pfeiler der Digitalisierung bilden Remote Work und Online-Workflows, die in der Cloud abgebildet werden, sowie der Online-Handel.
Die Cloud erlaubt gemeinsames Arbeiten an Briefen, Präsentationen, Tabellenkalkulationen und anderen Dingen. Sie entlastet uns von der Server-Administration und sorgt für eine bessere Lastverteilung und höhere Verfügbarkeit, als wenn wir die Server selbst administrieren würden.
Die Cloud wächst rasant. Büroarbeit wird zunehmend auf Google Docs oder mit Microsoft Office 365 in der Cloud erledigt. Privat nutzen inzwischen über eine Milliarde Menschen die Apple Cloud. Für alle Lasten, die elastisch oder schwankend sind, und für alle Werkstücke, die von mehreren Akteuren gleichzeitig bearbeitet werden, macht die Cloud Sinn.
Zattoo selbst bietet Beispiele für Cloud-Dienste: Anstatt Recordings lokal zu speichern, greifen unsere Zuschauer auf unsere Cloud zu. Von vielen Aufnahmen, die alle gleich wären, braucht es im Idealfall nur eine Masterkopie. Das spart Geld. Auch unsere B2B-Kundenbasis (Telekommunikations- und Kabelunternehmen) nutzt Cloud-Dienste: Statt TV-Signale von Satelliten über sogenannte Kopfstellen selbst einzuspeisen, nutzen sie unseren Cloud-Service. Von vielen Tausend Kopfstationen in Europa, welche alle ungefähr das Gleiche machen, wird es letztlich noch eine Handvoll in der Cloud brauchen. Da jede Kopfstation eine Investition von etwa 10 Mio. CHF und laufende Kosten verursacht, spart das eine Menge Geld.
Online-Handel und Lieferdienste wachsen stark und nachhaltig. Haben Nutzer mit alten Gewohnheiten einmal gebrochen, ein Benutzerkonto eröffnet und online bestellt, ist es für sie ein Leichtes, den vorkonfigurierten Warenkorb nochmals zu bestellen. Hat man das neue Verhalten einmal eingeübt, bleibt man dabei.
Digitalisierung kann unsere Covid-Kosten aufwiegen
Das BIP sank im Jahr 2020 um 25 Mrd. CHF; 2021 wird es steigen. Aus der Bundeskasse floss eine Kapitalspritze von 70 Mrd. CHF. Nehmen wir diese Summe als Massstab und ignorieren, wie dieses Geld aus der Wirtschaft wieder beim Staat landet, denn das tut es früher oder später. Prüfen wir, ob wir sie in 10 Jahren wettmachen können: Das entspräche 7 Mrd. CHF pro Jahr, oder 1% des Bruttosozialprodukts in der Schweiz von ca 700 Mrd. CHF.
Das geht: Bei angenommenen 700’000 Mitarbeitenden in Remote Work macht das 10’000 CHF pro Kopf und Jahr. Einsparungen können wir in diesen Bereichen erzielen:
Insbesondere in den städtischen Ballungszentren wird ein im internationalen Vergleich hoher Anteil des Salärs im Immobilienmarkt versenkt. Diese Kosten sollten sich etwas entspannen (ohne Inflation).
Weniger Pendlerbewegungen entlasten die Verkehrswege. Das entspannt die Investitionen in die Infrastruktur (vorausgesetzt, wir nutzen wieder den öffentlichen Verkehr).
Durch Digitalisierung von Geschäftsvorgängen verringern wir Transaktionskosten und legen an Tempo in der Wirtschaft zu.
Remote Work ermöglicht Spezialisierung von Ressourcen und erhöht die Qualität bei tieferen Kosten.
Für die Schweiz kann Remote Working die Rettung aus unserer geografischen Enge sein. Angestellte können in der ganzen Schweiz oder auch im Ausland geografisch verteilt sein. Wir brauchen uns bei der Rekrutierung nicht mehr auf einen 100km Kreis um den Arbeitsplatz zu beschränken. Remote Work öffnet einen grösseren Kandidatenpool für die Rekrutierung und fördert Diversität und Spezialisierung. Damit wird es auch günstiger, in der Schweiz ein Startup zu gründen.
Remote Work erhöht die Mitarbeiterzufriedenheit. Deloitte-Schweiz Studien aus den Jahren 2020 und 2021 zeigen: Mitarbeiter wollen mehrheitlich hybrid arbeiten und keinesfalls die Vorteile des Remote Working aufgeben. Mitarbeiter hatten erheblichen Zeitverlust beim Pendeln – diese Last wollen sie nicht mehr tragen. Sie geniessen die Freiheit, an Orten mit niedrigen Kosten und hoher Lebensqualität zu arbeiten – das eröffnet neue Perspektiven. Sie sparen Zeit durch weniger obligatorische Geschäftsreisen. Frauen erleichtert Remote Work den Wiedereinstieg in die Arbeitswelt durch die Möglichkeit, ihre Zeit gleitend zwischen Büro und Zuhause aufzuteilen.
Die Präferenzen betreffend Remote Work liegen nicht über alle Altersgruppen gleich, und sie unterscheiden sich auch zwischen Industrien und Ländern. In Japan ist der Verlust der Präsenzkultur eine grosse Herausforderung. Eine Anekdote aus Japan wurde mir zugetragen: Sagt der Chef «Was kann ich mit den zwei Assistenten machen? Darf ich sie nach Hause nehmen?» Dieser Chef hatte noch nie eine Videokonferenz von zu Hause organisiert. Das wurde immer im Büro von Spezialisten erledigt. Für traditionelle Chefs ist Remote Work eine Herausforderung.
Die IT-Branche ist Vorreiter bei Remote Work – andere Branchen ziehen nach
Es gab auch schon andere Zeiten: 2013 versuchte die damalige Chefin von Yahoo, Marissa Mayer, die Mitarbeiter von Remote Work wegzubringen. Innovation, meinte sie, geschieht im Dampfkochtopf des Entwicklungszentrums von Yahoo im Silicon Valley. Sie sah Innovation als Kontaktsport. Innovation ist inzwischen online möglich, weil die Arbeitsmittel besser geworden sind.
Die IT-Branche ergreift inzwischen die Chance, den Mitarbeitern mit Remote Work attraktive Arbeitsbedingungen zu bieten. Sie ist mit Abstand am besten darauf vorbereitet. Andere Branchen entdecken nun auch: Remote Work funktioniert.Die Sicherheit ist besser als befürchtet. Aus dem Private-Banking ist bisher kein Skandal bekannt.
Corona hat mehr getan, um die Digitalisierung der Schweiz zu beschleunigen, als alle digitalen Initiativen, die wir bisher hatten. Von vielleicht 10’000 Remote Work-Arbeitsplätzen in der Schweiz vor der Covid-Krise haben wir einen Sprung auf über 1 Million Remote Work-Arbeitsplätze gemacht (bei einer Gesamtbelegschaft von fast 5 Millionen). Wenn wir von 700’000 solcher Arbeitsplätze über die nächsten 10 Jahre sprechen, verstehen wir die Grössenordnung des Wandels.
Die Initiative digitalswitzerland, die Wissenschaftsinitiative CH++, Open Data Schweiz, der Branchenverband ASUT und weitere können uns helfen, den Schwung aus der Covid-Digitalisierung mitzunehmen. Sie können mit Inspiration und Know-how-Transfer zum Florieren der Schweiz beitragen.
“Culture eats Strategy for breakfast”
Wir kennen das: eine clevere Strategie wird verkündet, und wir foutieren uns darum, weil wir es anders mögen. Macht unsere Macht der Gewohnheit nun die Vorteile der COVID-Digitalisierung zunichte? Kehren wir zu Feld 1 zurück?
Beginnen wir mit uns selbst. Wir haben gelernt, wie man sich im Home-Office organisiert. Ideal wäre ein Zoom-Raum. Wir haben gelernt, Essen zu kochen, Samen zu pflanzen, Brot zu backen. Ideal wäre ein eigener Garten. Wir reisen mehr individuell, weniger in Gruppen. Ideal wäre ein Camper.
Wir improvisieren in der Art und Weise, wie wir unterrichten. Ideal wäre ein altersgerechter Mix aus Präsenz- und Online-Unterricht:
Für Kindergartenkinder und Primarschüler bleibt die persönliche Interaktion wichtig. Präsenzunterricht wird dominieren, aber nicht mehr so starr wie bisher. Online-Lehrmittel komplementieren ihn. Kinder nutzen gerne iPads und lernen spielerisch damit.
Auf höheren Stufen wird es immer wichtiger, die besten Lehrmittel einzusetzen. Sie erlauben interaktives Lernen und komplementieren den Frontalunterricht, zum Beispiel mit Werkzeugen wie Mathematica oder mit der Khan Academy.
Vielleicht sagen wir uns: «mein Aktiendepot ist gestiegen, meine Immobilie ist jetzt mehr wert, ich brauche mir die neue Arbeitswelt nicht mehr anzutun.» Oder wir wurden ruiniert und können nicht mehr. Durch die Covid-Krise scheiden vor allem ältere Arbeitnehmer aus dem Berufsleben aus.
Damit wir die Vorteile der Digitalisierung nutzen können, müssen wir uns von der Gewohnheit verabschieden, in altmodische Büros zurückzukehren, in denen wir Kopfhörer tragen, um konzentriert zu arbeiten. Lasst uns stattdessen Büros neu erfinden und die Möglichkeit des Remote Working nutzen, die uns in der Covid-Krise gut gedient hat.
Über Bea Knecht
Bea Knecht digitalisiert mit ihren Gründungen Zattoo, Genistat und Levuro Mediendienstleistungen. Genistat beschäftigt Experten für Media Data Science. Levuro beschäftigt Experten für Social Media Engagement. Wingman ist ein VC Fonds, den sie unterstützt: Von Unternehmern, für Unternehmer. Bea Knecht wirkt im Vorstand der Gesellschaft für Marketing und von CH++ und ist Mitglied der Eidgenössischen Medienkommission. Sie ist Empfängerin des IAB Lifetime Award, des Best of Swiss Web Award und des Emmy Award.
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